Die Planung

Die Planung

Der Gedanke der Wohnstadt Asemwald wurde entwickelt. Die Diskussion kam in Gang.

Zeitachse der Planung

Grafiken der Planungsphasen

Bild 1 Jahr 1959 | Bild 2 Jahr 1959 | Bild 3 Jahr 1963 | Bild 4 Endfassung 1968

StN 7. Februar 1959 – „Hannibal“ vor den Toren Stuttgarts

Revolutionäre Planung als Beitrag zum großstädtischen Wohnungsbau – Die Visitenkarte an der Autobahn – auf öffentlichem Gelände


Kurzer Auszug aus einem Beitrag von Paul Louis Fischer:

„Wird Stuttgart nach dem Fernsehturm und der Liederhalle ein weiteres aufsehenerregendes Bauwerk neuzeitlicher Architektur und Planung erhalten? Über die Frage wird wohl in absehbarer Zeit eine heftige Debatte entbrennen. Wir sind nun heute in der Lage, der Öffentlichkeit zum erstenmal die Pläne dieses Projekts zu zeigen und eine Schilderung darüber zu geben, wie sich die Architekten das neue Bauwerk von gigantischen Ausmaßen vorstellen und warum sie auf diese Idee gekommen sind. […] Die Architekten Diplomingenieur Otto Jäger und Diplomingenieur Werner Müller […] versuchen Dinge, die jenseits der verwertbaren Erkenntnisse des Bauwesens liegen. […] Von welchen Gedanken ließen sie sich leiten? […] Hier die Antwort: „Der Wohnungsbedarf von fast 40 000 Wohnungen in Stuttgart läßt sich auf dem vorhandenen Baugelände, ohne den Waldbestand anzugreifen, niemals befriedigen, wobei die Vielzahl der Bausparer noch nicht einmal berücksichtigt ist. Dieser Kreis wurde bei Vergabe öffentlichen Baugeländes so gut wie gar nicht berücksichtigt…Das vorgesehene Baugelände wurde vor Jahren von der Stadt Stuttgart über die württembergische Hofkammer zweckgebunden für den Wohnungsbau erworben. Von den fast 20 Hektar Boden würden für das Projekt „Hannibal“ etwa zehn Prozent benötigt. […] Ungeachtet aller möglichen Bedenken bietet unser Projekt für den Einzelnen und die Allgemeinheit so viel unwiderlegbare Vorteile, daß man auf Dauer nicht umhin kommen wird, die Realisierung eines solchen Projekts näher zu treten.“ Dennoch Eigenheimcharakter Die große Überraschung ist, dass trotz gewaltiger Massierung … jeder Partie, die sich von 57 bis 150 Quadratmetern erstrecken kann – das Gefühl des Eigenheims zu vermitteln. … Selbstverständlich ist durch die große Serie möglich, jede Wohnung mit einer ausgeklügelten, geräumigen Einbauküche zu versehen, deren Ausstattung dem .. Luxuswohnbau vorbehalten blieb. Trockenen Fußes einkaufen Die Bewohner des „Hannibal“ wollen natürlich auch mit den nötigsten Dingen des täglichen Bedarfs versorgt sein. Und deshalb ist vorgesehen, in den Kolonaden im Erdgeschoß Ladengeschäfte einzurichten.

Quelle: Landtag Baden Württemberg DOKUMENTATIONSDIENST ARCHIV

Deutsches Volksblatt 8. April 1959 – CDU-Fraktion gegen „Hannibal“

Das Projekt „Hannibal“ steht heute morgen in einer gemeinschaftlichen nicht öffentlichen Sitzung des technischen Ausschusses und des Wirtschaftsausschusses des Stuttgarter Gemeinderates erneut zur Debatte. Inzwischen wurde es auch von allen Fraktionen beraten. Als einzige Fraktion hat sich bisher die CDU gegen den Bau der „Wohnfabrik“ ausgesprochen. Neben rein städtebaulichen Erwägungen haben bei dieser Entscheidung der CDU Grundsatzfragen eine große Rolle gespielt.


Die CDU plädiert auf Bundesebene für familiengerechtes Wohnen in eigenen Häusern. Diesen Grundsatz können die CDU-Politiker in der Kommunalpolitik nicht verleugnen und müssen deshalb dieses überdimensionale Wohnkollektiv ablehnen.


Obwohl mit „Hannibal“ dem sozialen Wohnungsbau in Stuttgart kaum gedient werden kann, soll die SPD diesem Bauvorhaben wohlwollend gegenüberstehen. Die DVP-Fraktion erklärte bislang, sie habe noch keinen Beschluß gefaßt. Die Bewohner von Schönberg, die dem vorgesehenen Gelände im Asemwald, auf dem Hannibal errichtet werden soll, am nächsten sind, haben sich bereits gegen den Bau ausgesprochen. Sie sind der Meinung, daß ein so großer Wohnblock nicht in die Landschaft am Asemwald passe. Auch der Birkacher Bezirksbeirat ist nicht sehr begeistert von dem Bau einer „Wohnfabrik“. In Forstkreisen wurden ebenfalls erhebliche Bedenken gegen das Projekt geäußert. Hier ist man der Meinung, daß die Wand aus Stein und Glas auf der lichten Anhöhe allzu stark zum beherrschenden Element werde und sich negativ auf die Umgebung auswirke.


Nun werden sich heute die beiden Ausschüsse des Gemeinrates darüber klar werden müssen, ob die angeblichen Vorteile, die mit einem so großen Wohnblock verbunden sein sollen, die allzu offensichtlichen Nachteile aufwiegen können.


Der CDU-Kreisverband Stuttgart hat Anfang der Woche in seiner Delegiertenversammlung zu dem Projekt „Hannibal“ eine Entschließung gefaßt, deren Wortlaut wir am Dienstagabend zu Veröffentlichung übermittelt bekamen. Er lautet: „Der Bau von modernen Eigentumswohnungen wird grundsätzlich befürwortet.
Jedoch wurde die CDU-Fraktion des Gemeinderats aufgefordert, die Errichtung dieses Mammutblocks auf den Fildern abzulehnen, den eine Zusammendrängung von mehreren tausend Menschen in einem einzigen Gebäude müsse zu einer Belastung der mitmenschlichen Beziehungen führen. Dieser Nachteil werde durch den Vorteil des technischen Komforts nicht ausgeglichen. Auch der geplante Standort des Wohngiganten erscheint noch problematisch.

Quelle: Landtag Baden Württemberg DOKUMENTATIONSDIENST ARCHIV

AZ 28. Oktober 1959 – Wohngigant „Hannibal“ grundsätzlich abgelehnt – Ein Gutachten gegen die Planer

Die Landesgruppe Baden-Württemberg der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung hat in einem jetzt veröffentlichten Kurzgutachten das von den Stuttgarter Architekten Otto Jäger und Werner Müller für 1200 Familien geplante, 650 Meter lange, 20 Meter tiefe und rund 50 Meter hohe Wohnhochhaus „Hannibal“ entschieden abgelehnt. Eine Häufung von Nachteilen, so heißt es in dem Gutachten, mache den vorgeschlagenen Grundriß unvertretbar und stelle außerdem einen Rückfall in Fehler dar, die von Städtebauern und Architekten bereits vor einer Generation aufgegeben wurden. „Hannibal“ eigne sich keinesfalls für Familien mit Kindern und auch nicht für breite Schichten mit geringen Einkommen.

In Folge des zusätzlichen technischen Aufwands und des außergewöhnlichen Aufwands für die Schallisolierung sei für den Giganten ein Kostenvorteil
kauf zu erwarten. Schon bei den bisherigen Wohnhochhäusern entstünden immer Mehrkosten gegenüber einer Gemischtbauweise. Diese Kosten würden sich bei „Hannibal“ zweifellos noch steigern.

Wohnwert außerordentlich gering

Der Wohnwert der schlauchförmigen „Hannibal“-Wohnungen wird von der Akademie als „außerordentlich gering“ bezeichnet, da sie durchschnittlich nur sechs Meter breit, 20 Meter lang und an den Schmalseiten ohne Belichtung seien. Die südlich gelegenen Wohnzimmer erhielten ihr Licht nur über Balkone. Die geruch- und wasserdampfbilden 1200 Küchen, Bäder und WC’s seien ferner als Innenräume auf künstliche Belichtung und Beleuchtung angewiesen. Alle nördlich gelegenen Wohn- und Schlafzimmer hätten kein Sonnenlicht. Ein weiterer Nachteil der meisten Wohnungen wird darin gesehen, daß die Schlafräume unterhalb und oberhalb der drei offenen Wohnhaus-Hochstraßen liegen.

„Hannibal“ nicht notwendig

Obwohl die Bauplatznot in Stuttgart sehr groß sei, bestehe für die Wohnform „Hannibal“ keine Notwendigkeit, stellen die Gutachter weiter fest. Die Bauplatznot in Stuttgart beruhe nicht auf dem Mangel an ausgewiesenem Baugelände, sondern nur auf der fehlenden Bereitschaft zum Verkauf zu erschwinglichen Preisen. Werde die Grundform des modernen Städtebaus eingehalten, bei der die Baunutzungsziffer für ein bestimmtes Gebiet unabhängig von der gewählten Bauweise errechnet wird, ergebe sich für „Hannibal“ kein Vorteil gegenüber einer Siedlungsform, dies sich dem Bedarf entsprechend in Flach- Mittel und Hochbau gliedere.

Quelle: Landtag Baden Württemberg DOKUMENTATIONSDIENST ARCHIV

Stuttgarter Zeitung 6. August 1965 –
„Hannibal vor den Ministerrat?“

Eine Empfehlung des Regierungspräsidiums Bebauungsplan hat „erhebliche politische Bedeutung“

Die Pressestelle des Regierungspräsidium Nordwürttemberg teilt mit Datum 4. August folgendes mit:

„Das Bürgermeisteramt Stuttgart hat am 24. Mai 1965 beim Regierungspräsidium Nordwürttemberg die Genehmigung des Bebauungsplanes für das Gebiet Asem und Ohnhold im Stadtbezirk Plieningen zum Großbauprojekt „Hannibal“ beantragt. Der ursprünglich mit Bericht vom 12 Dezember 1963 vorgelegte Bebauungsplan mußte der Stadt Stuttgart zurückgegeben werden, weil zwingend vorgeschriebene Verfahren der Anhörung der beteiligten Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange nicht durchgeführt war.

Die mit dem Vorhaben „Hannibal“ zusammenhängenden städtebaulichen, wirtschaftlich und sozialen Gesichtspunkte sind der Öffentlichkeit und im Gemeinderat der Stadt Stuttgart lebhaft erörtert worden. Das Regierungspräsidium misst dem Bebauungsplan wegen der anstehenden grundsätzlichen Fragen, die insbesondere auf dem Gebiet der Landesplanung und Raumordnung liegen, erhebliche politische Bedeutung zu. Vermutlich aus den gleichen Gründen hat auch das Innenministerium die Vorlage der Akten vor der Entscheidung durch das Regierungspräsidium Nordwürttemberg verlangt. Deshalb wurde der Antrag der Stadt Stuttgart dem Innenministerium nunmehr vorgelegt und die Empfehlung hinzugefügt, den Ministerrat mit der Angelegenheit zu befassen“.

Stuttgarter Zeitung 10. Juni 1966 – Start frei für „Hannibal“

Innenministerium genehmigt Bebauungsplan

Stuttgarts umstrittenstes Wohnbauprojekt, der „Hannibal“ mit rund 1060 Wohnungen und dazugehörigen Nebenanlagen in zwei Wohnblöcken, kann gebaut werden. Nach jahrelangen, oft erbittert geführten Diskussionen in den Gremien der Stadt und in der Öffentlichkeit hat sich das Innenministerium Baden-Württemberg jetzt dafür entschieden, den Bebauungsplan zu genehmigen. Es handelt sich um einen städtischen Plan Asem- und Ohnholdwald im Stadtbezirk Plieningen auf der Filderhochebene. Der Wohngigant Hannibal soll nach mehrfacher Umgestaltung des im erste Entwurf etwa 650 Meter langen Baukörpers in seine endgültigen Form aus zwei rechtwinklig zueinander stehenden Scheiben bestehen. Die Länge soll 288 und 204 Meter, die Höhe 46 und 59 Meter betragen. Wie das Innenministerium am Mittwoch mitteilte, wurde vor der Entscheidung Mitte Mai der Ministerrat vom Innenminister Dr. Filbinger über die Angelegenheit unterrichtet. Im Genehmigungsverfahren seien sehr genau Vergleiche mit ähnlichen Bauprojekten des In- und Auslandes angestellt worden. Die Cité Radieuse von Le Corbusier in Marseille sei ebenso studiert worden wie ähnliche Riesenkomplexe in Nancy, Stockholm und Berlin. Vom technischen Standpunkt aus ließ der Mitteilung des Ministeriums zufolge gegen „Hannibal“ nichts einwenden. Die Auflösung des früher einheitlich vorgesehen Bau Körpers in zwei Komplexe habe sich architektonisch eine Entspannung gebracht. Die soziologische und städtebauliche Problematik, die derartige Baukörper aufwerfen, bleibe aber trotz der Baugenehmigung bestehen. betont das Innenministerium. Sie sei aber mit den Paragraphen des Bundesbaugesetzes weder erfassbar noch lösbar gewesen.

Bei der Abwägung der Argumente sei mit ins Gewicht gefallen, daß durch dieses Großprojekt die angespannte Wohnungslage in Stuttgart eine gewisse Entlastung erfahre und in Hinblick auf den Mangel an Baugelände unter Einsparung von Bauland eine Verbesserung des Wohnungsangebotes und der Eigentumsbildung im Wohnungswesen erzielt werden könne. Besondere Schwierigkeiten bereite nach Mitteilung des Ministeriums die Lage des Baugrundstückes. Das Landschaftsbild sollte möglichst erhalten bleiben. Das Ministerium habe deshalb der Stadt Stuttgart empfohlen, die Baukörper wenigstens so nach Südosten zu verlegen, daß das betroffene Waldgebiet erhalten bleibe. …

Sieben Jahre lang war der Ruf „Hannibal vor den Toren“, mit dem dereinst die Römerinnen ihre unartigen Kinder von der Straße verscheuchten, in Stuttgart für Verfechter und Gegner des Großprojektes im Asemwald das Signal, um mit Argumenten und Gegenargumenten gegeneinander ins Feld zu ziehen.

Der Hannibal selbst hat sich in dieser Zeit beträchtlich gewandelt, und streng genommen ist eigentlich nur sein Name gleich geblieben.